Ein Tag zum Nachdenken

Goethe hat recht mit: „Es gibt bedeutende Zeiten, von denen wir wenig wissen, Zustände, deren Wichtigkeit uns nur durch ihre Folgen deutlich wird.“, denn man muss sich der Erkenntnis stellen, dass Bilder in den Köpfen von Nichtbeteiligten oft nicht mit dem Ablauf von Ereignissen übereinstimmen. Die Korrektur der Bilder ist sehr oft nötig.

Für Historiker ist Verdun das Symbol einer vollkommen technisierten Schlacht, die die Soldaten in den Gräben, die zu Gräbern wurden, einfach unterpflügte. Ein bis dahin unbekanntes Grauen.

Orte, bei denen große Schlachten geschlagen wurden, erhalten sehr schnell Symbolcharacter. Verdun, wo es zu keinerlei Entscheidung für den Kriegsverlauf kam, ist für Frankreich der Ort der Rettung des Vaterlands durch heroischen Einsatz eigener Kräfte und für Deutschland? Am Ende waren die Grabhügel auf beiden Seiten gleichhoch.

In den frühen Morgenstunden des 21. Mai fuhren wir, die Reservistenkameradschaft Finthen mit einigen Angehörigen nach Verdun, wo wir am berühmten „Ossuaire“ (Beinhaus) von unserem Kameraden Diego Voigt empfangen wurden. Unter seiner fachkundigen Führung konnten wir viele Insider-Informationen über die Geschichte des Schlachtfeldes erfahren.

In den Katakomben des Ossuaire ruhen die Gebeine von etwa 130.000 unbekannten Soldaten, ohne Unterschied zwischen den Nationen, die man auf den völlig verwüsteten Feldern eingesammelt hat. Auf dem Friedhof vor dem Beinhaus scheinen die Fluchten der weißen Kreuze schier endlos. Man ist beeindruckt und wird still.

Im Hintergrund das eigenwillige weiße Art-Deco-Gebäude. Es stellt ein in die Erde gestecktes Schwert dar, im Mittelalter ein Symbol des Friedens.

Bemerkenswert ist, dass es in vielen Bereichen keinerlei Unterschied in Rasse und Religion gibt. So findet man durchaus auch Kreuze mit dem Davidstern, jüdische Gräber. Diese wurden auch während der Besetzung durch die Wehrmacht im Juni 1940 nicht entfernt oder geschändet, denn für jeden Soldaten ist die Achtung vor den Gefallenen des Gegners eine „selbsrverständliche Pflicht“ (Präambel der Anweisung für den Gräberoffizier der Wehrmacht). Das Betreten der Gedenkstätte durch Zivilisten war durch den Kommandanten verboten worden.

Auf vielen Kreuzen kann man lesen „Er starb für Frankreich“. Diese Soldaten, die „Sieger“ sind für etwas gestorben, an das sie geglaubt haben, man kann es gemeißelt auf zahllose Obelisken rund um das Beinhaus lesen. Bleibt die Frage, wofür die Besiegten gestorben sind, gab es hier überhaupt Sieger und Besiegte?

Weiter ging es ins Fort de Douaumont, eine beeindruckende unterirdische Festungsanlage. Es hat uns die knappe Stunde dort unten gereicht, um die bedrückende Enge, den Lärm, die Kälte und Dunkelheit nachvollziehen zu können, der die Soldaten in diesen Katakomben wochenlang ausgesetzt waren, zum Schluss mit einem halben Liter Wasser pro Tag und Mann.

Es kam uns etwas merkwürdig an, im Fort eine deutsche Gedenkstätte zu finden. Die Erklärung ist: 8. Mai 1916 kamen bei der Explosion eines Granaten- und Flammenwerferdepots mehrere Hundert deutsche Soldaten ums Leben. 679 wurden in die im Innenhof des Forts gelegene Munitionskasematte gebracht und der Eingang zugemauert. Das Kreuz steht heute vor dem zugemauerten Ausgang zum zwischenzeitlich verschütteten Innenhof und dieser Ort ist der so genannte „Deutsche Friedhof“ im Fort.

Als die französische Armee die Anlage zurückeroberte, ließ sie die Toten ruhen, man übernahm die Pflege des Gräberstätte, denn jeder Soldat achtet und ehrt auch den gegnerischen Gefallen. Heute sieht man den Friedhof auch als Zeichen der Aussöhnung.

Vom Dach des Forts konnten wir einen großen Teil des Schlachtfeldes überschauen und die bis heute sichtbare, nachhaltige Zerstörung der Landschaft auf uns wirken lassen.

Zu den vielen Einblicken in Sachverhalte, die kein Geschichtsbuch zu bieten vermag, gehörte auch der Besuch des Bajonettgrabens, ein französischer Schützengraben. Angeblich wurden die dort kämpfenden Soldaten von der Wirkung eines Granateinschlags aufrecht stehend, mit geschulterten Karabinern kurz vor einem Angriff verschüttet. Lediglich ihre Bajonette schauten noch heraus.

Die Bajonette sind durch Kreuze nachhaltig nachempfunden.

Dieses ist das erste fertig gestellte Denkmal des zentralen Schlachtfelds Verdun. Es wurde am 08. Dezember 1920 von dem damaligen französischen Präsidenten, A. Millerand, eingeweiht.

Der Besuch eines Ortes, ein paar Kilometer entfernt vom Fort, an dem vor gut hundert Jahren das Dorf Vauqouis stand, das es heute an anderer Stelle wieder gibt, führt auch zum Nachdenken. Ab September 1914 schlugen auf dieser Anhöhe deutsche Soldaten ihr Lager auf, von da an wurde die Anhöhe zu einem umkämpften Beobachtungsposten. Heute ist er eine Kraterlandschaft, bedeckt mit saftigem Grün.

Für die Reisegruppe der Reservistenkameradschaft Finthen gab es einen nachdenkenswerten Abschluß am Fuße der Treppen, die hoch zu dem Monument führen, am Übergang zwischen Friedhof und Gebeinhaus. Hier in etwa standen am 22. September 1984, Helmut Kohl und François Mitterand nebeneinander. An dem damals kalten Tag gedachten sie gemeinsam der Toten. Während ein Mann auf der Trompete spielte, fassten sich plötzlich der deutsche Bundeskanzler und der französische Staatspräsident an den Händen. Mitterand soll die Hand ausgestreckt, Kohl sie dankbar ergriffen haben.

Für den Journalisten und ehemaligen Tagesthemen-Moderator Ulrich Wickert hatte diese Geste „als politisches Symbol das gleiche Gewicht wie der Kniefall von Willy Brandt in Warschau“.

An dieses Ergeignis erinnert eine Tafel auf der steht: „Wir haben uns versöhnt, wir haben uns verständigt, wir sind Freunde geworden.“

Und das ist gut so. Der Friedensnobelpreisträger Albert Schweitzer sagte einst: „Die Soldatengräber sind die großen Prediger des Friedens. “

Die Reservistenkameradschaft Finthen fühlt sich dem uneingeschränkt verpflichtet und nimmt diese Botschaft mit zu den Angehörigen und vor allem zum Umfeld, vor allen Dingen gegen das Vergessen.

Schauen Sie auch mal hier rein.

nächste Seite ▶ ◀ vorherige Seite